[Belletristik] Die Bücher, der Junge und die Nacht

Kai Meyer hat mit »Die Bücher, der Junge und die Nacht« eine Liebeserklärung an das Buchwesen in Deutschland geschrie­ben. Über vie­le Jahre und Jahrzehnte war Deutschland zu einem unver­gleich­li­chen Zentrum der Branche gewach­sen. Wie zum Beispiel das gra­phi­sche Viertel in Leipzig, in das der Autor die Handlung des Buchs ver­or­tet und damit den Leser in die ver­schie­de­nen Epochen ent­führt.

Die Handlung wird auf drei Zeitebenen erzählt und ist dabei nicht nur kom­plex, son­dern auch ein wenig phi­lo­so­phisch abs­trakt. Die Hauptfigur Robert Steinfeld muss sich sei­ner Vergangenheit stel­len und abwä­gen, wie er mit der ent­deck­ten Wahrheit umgeht. Das Buch spielt in den 70ern, 40ern und 30ern des vori­gen Jahrhunderts und ist inso­fern ein zeit­ge­schicht­li­cher Roman, als das der Leser in das tra­di­tio­nel­le Buchwesen der dama­li­gen Zeit und des­sen unvor­stell­ba­ren Zerstörung ent­führt wird. Kai Meyer schafft dies durch sei­nen abwechs­lungs­rei­chen Schreibstil, der mit­un­ter sehr blu­mig sein kann:

„Leipzigs Gassen und Boulevards zer­flos­sen an die­sem Abend zu einem Aquarell, des­sen Farben mit schwar­zer Tinte ver­mischt wor­den waren. Die Lichtkugeln der Straßenlaternen lagen dar­auf wie ver­streu­te Münzen.“ (bei 34% des eBooks)

Wie möch­te es wohl gewe­sen sein, zwi­schen den tau­sen­den Buchhandlungen, Druckereien, Antiquariaten, Setzereien, Buchbindereien, Verlagen und Lagerhallen zu wan­deln und an jeder Ecke dar­an erin­nert zu wer­den, was für eine Hochburg des gedruck­ten Wortes Deutschland war?

In dem Buch fin­det sich nicht nur die Liebeserklärung an das gedruck­te Buch, son­dern auch zwi­schen­mensch­li­che Beziehungen und Liebesgeschichten. Gut mög­lich, dass der ein oder ande­re Leser von der Vielzahl der Figuren und Handlungsstränge den Überblick ver­liert. Der Leser muss auf jeden Fall offen sein für aus­schwei­fen­de und aus­schmü­cken­de Erzählpassagen, ohne die es nicht mög­lich gewe­sen wäre, die dama­li­ge Zeit zum Leben zu erwe­cken.

Fazit

Ich habe ganz bewusst wenig zum Inhalt erzählt, damit der Leser voll­kom­men unvor­ein­ge­nom­men sich dem Werk nähern kann. Außerdem ver­rät der Klappentext schon genug. Das Buch lebt von sei­ner dich­ten Atmosphäre und der span­nen­den Verstrickung der jewei­li­gen Erzählstränge. Der Leser wird durch drei Zeitebenen geschickt, um die Hauptfigur dabei zu beglei­ten, die eige­ne Vergangenheit zu ent­de­cken und sich ihr zu stel­len. Ein Buch für Büchernarren mit einer Affinität zu Liebeserklärungen jeg­li­cher Art.

Hintergrund: In das gra­phi­sche Viertel in Leipzig ist ein Teil der Handlung ver­or­tet. Dieses Viertel zeich­ne­te sich dadurch aus, dass sich bis zum zwei­ten Weltkrieg dort über 2.200 Firmen aus dem Buchgewerbe ansie­del­ten. In der Nacht vom 03. auf den 04. Dezember 1943 zer­bomb­ten eng­li­sche Flieger bei einem Großangriff wei­te Teile der Leipziger Innenstadt. Darunter auch die­ses Viertel. Mit die­sem Angriff wur­de ein bei­spiel­lo­ser Feuersturm ent­facht, dem über 50 Millionen Bücher zum Opfer fie­len. Wochen- und mona­te­lang brann­ten die Buchlager und ver­brann­te Papierfetzen fan­den sich sogar noch in Halle.

Nebenbemerkung: Es hat zwar nichts direkt mit der Handlung zu tun, aber Kai Meyer hat sehr tref­fend for­mu­liert, wie vie­le Deutsche über Menschen im Rollstuhl den­ken. »[…]Und ein Rollstuhl ist für mich nie infra­ge gekom­men. Schwach zu sein ist schlimm genug, man muss sich nicht auch noch vor­füh­ren las­sen.«

buecher junge nacht

Titel: Die Bücher, der Junge und die Nacht
Autor: Meyer, Kai
Genre: Belletristik
Seitenzahl: 496
Verlag: Knaur Verlag

4/5

Herkunft: Deutschland
Jahr: 2022

Dieses Buch wur­de mir über die Plattform Netgalley als E‑Book zur Verfügung gestellt. NetGalley gibt kei­ner­lei Vorgaben über die Art und Weise, wie Bücher bewer­tet oder vor­ge­stellt wer­den. Mehr Infos dazu auf der Seite “Über die­sen Blog”.

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