[Biografie] Die Farben des Himmels

Ich been­de die Sommerpause mit dem Review zu einem beson­de­ren Roman, der einen per­sön­li­chen Bogen zu mir schlägt. Es steht eine Frau im Mittelpunkt, die mit der glei­chen neu­ro­mus­ku­lä­ren Erkrankung zurecht­kom­men muss, wie ich sie habe und die auch der Grund dafür ist, dass die Sommerpause hier auf dem Blog so lan­ge andau­er­te. Allerdings zeigt sich die­se Krankheit sehr unter­schied­lich und es gibt von Patient zu Patient unter­schied­li­che Ausprägungen.

Ich füh­re zuerst ein paar all­ge­mei­ne Infos zum auf, bevor ich zum eigent­li­chen Review kom­me. Wer also nur etwas zu die­sem Buch in Erfahrung brin­gen möch­te, der scrol­le bit­te wei­ter nach unten.

christinas world
Andrew Wyeth, Christina’s World, 1948, The Museum of Modern Art, New York. © Andrew Wyeth

Das Bild stammt vom MoMa-Blog (Museum of Modern Art in New York). Die Verwendung des Bilds erfolgt mit der freund­li­chen Genehmigung des Museums, das eine Verwendung für nicht-kom­mer­zi­el­le redak­tio­nel­le Pressezwecke zulässt.

Andrew Wyeth hat im Jahre 1948 „Christina’s World“ gemalt. Das Gemälde gehört zu den bekann­tes­ten Werken der ame­ri­ka­ni­schen Malerei des 20. Jahrhunderts, auch wenn ver­mut­lich vie­le Leser die­ses Beitrags von dem Bild noch nichts gehört haben. Es hängt aktu­ell im „Museum of Modern Art“ in New York.

Auf dem Gemälde ist eine Frau zu sehen, um die es in die­sem Buch geht und auf die ich gleich zu spre­chen kom­me. Das Haus im Hintergrund ist das „Olsen Haus“, das von Einwanderern im 17. Jahrhundert erbaut wur­de und sich seit­her im Besitz der Familie befand. Heutzutage ist das Haus Teil eines Museums und wur­de so restau­riert, wie es auf dem Gemälde zu sehen ist.

Christina Olsen, die Frau auf dem Gemälde, hat­te nach heu­ti­gen Erkenntnissen die Krankheit „Charcot-Marie-Tooth“ (CMT) oder auf Deutsch „Hereditäre Sensomotorische Neuropathie“ (HMSN), an der auch ich erkrankt bin und wes­halb ich die­ses Buch über­haupt gele­sen habe. Es ist in gewis­ser Weise einer der ers­ten bekann­ten Zeugnisse über das Leben mit die­ser Erkrankung, die sich sehr unter­schied­lich äußert.

Und genau hier kommt Christian Baker Kline ins Spiel. Sie hat zur Recherche zu die­sem Buch sehr viel über den Maler und die Portraitierte zusam­men­ge­tra­gen, um so nah wie mög­lich an der Historie zu blei­ben. Dennoch sagt sie in ihrem Nachwort, dass dies eine fik­tio­na­le Biografie ist, die sich bes­ten­falls auf eini­ge his­to­ri­sche Fakten stützt.

Wer das Gemälde nur flüch­tig betrach­tet, wird kaum etwas außer­ge­wöhn­li­ches sehen. Bei nähe­rer Betrachtung fällt die Dynamik auf. Die Frau scheint dem Haus ent­ge­gen­zu­stre­ben. Nur, war­um liegt sie auf dem Boden? Und da fal­len viel­leicht die dün­nen Arme auf und die zu Krallen geform­te Hände und man fragt sich, ob dies eine jun­ge oder eine älte­re Frau ist.
In die­ses Bild wur­de schon sehr viel hin­ein­in­ter­pre­tiert. Ich woll­te nur einen kur­zen Anstoß geben, das Gemälde etwa genau­er anzu­schau­en, um dann es dem Betrachter selbst zu über­las­sen, was er sieht.

die farben des himmels innen

Damit der Leser weiß, um wel­ches Bild es sich han­delt, fin­det sich ein Abdruck des­sel­ben ganz zu Beginn des Buchs.

Soweit zu den Hintergründen, jetzt zum eigent­li­chen Buch.

Es kann immer wie­der span­nend sein, zu erfor­schen, wie ein Gemälde ent­stan­den ist. Christian Baker Kline woll­te aber nicht nur dem nach­ge­hen, son­dern stell­te sich zudem die Frage, wie die Menschen zu Beginn des 20.Jahrhunderts leb­ten und wel­chen Entbehrungen sie aus­ge­setzt waren. Beides zusam­men ergibt die­se funk­tio­na­le Biografie über Christina Olsen, die auf dem Gemälde „Christina‘s World“ (zu Deutsch Christinas Welt) von Andrew Wyeth zu sehen ist.

Die Autorin hat sich nicht dafür ent­schei­den, die Biografie chro­no­lo­gisch zu schrei­ben, son­dern sie hebt die Spannung dadurch, in dem sie in den Zeiten springt. So erfährt der Leser direkt, dass es um die Beziehungen zwi­schen dem Maler und der Erzählerin geht, aber nicht, wel­che Hintergründe dem zugrun­de lie­gen. Dafür holt die Autorin weit aus und erzählt die Geschichte der Familie Olsen und streift dabei die Einwanderungspolitik, die Hexenverfolgung und das ent­beh­rungs­rei­che Leben der Farmer zur dama­li­gen Zeit, in der zuerst der ers­te und spä­ter der zwei­te Weltkrieg wüte­te.

Aber auch das Leben und die Stellung der Frau zur dama­li­gen Zeit wird immer wie­der the­ma­ti­siert und wie sehr die­ser gesell­schaft­li­che Stand Christina Olsen das Leben zusätz­lich schwer gemacht hat. Wieso zusätz­lich? Weil sie an einer dege­ne­ra­ti­ven Krankheit litt, d.h. an einer Krankheit, die sich nach und nach ver­schlech­tert. Die Autorin Christina Kline hat viel zu die­sem Buch recher­chiert, so dass dort sehr vie­le Wahrheiten ent­hal­ten sind, die auch heu­te noch gül­tig sind. Wie kann man z.B. sei­nen Mitmenschen erklä­ren, wie es sich anfühlt, wenn die Muskeln plötz­lich nicht so wol­len, wie man es möch­te? Die Autorin fand die­se sehr tref­fen­den Worte:

[…] irgend­was stimmt nicht. Ich lie­ge im Bett und füh­le mich wie ein aus­ge­wrun­ge­ner Lappen, der zum Trocknen auf der Leine hängt.
Seite 30

Chronisch kran­ke Menschen kön­nen ein Lied davon sin­gen, wie schwie­rig es ist, sei­ner Erkrankung einen Namen zu geben, um zu wis­sen, was sie (mög­li­cher­wei­se) erwar­tet oder eben nicht. Sehr tref­fend ist da die­ser Satz:

„Jeder Mensch hat sei­ne Last zu tra­gen“, sagt sie. „Du weißt jetzt, wel­che Deine ist. Das ist gut. So wirst Du nie über­rascht wer­den.“
Seite 21

Christian Olsen muss sehr viel ein­ste­cken und opfert ihr Leben für die Farm der Eltern, bzw. wird eher dazu getrie­ben, dies zu tun. Gleichzeitig ist sie stur und steht sich selbst oft­mals im Weg. Hinzukommen die vie­len gro­ßen und klei­nen Enttäuschungen, die das Leben mit sich bringt.

Es ist eine Erbkrankheit, die sich ganz unter­schied­lich äußert. Während Christina Olsen schon seit ihrer Kindheit die Folgen der Erkrankung spürt, tre­ten die Erscheinungen beim Vater erst sehr viel spä­ter auf. Im Alter von 57 Jahren beschließt er, einen Rollstuhl zu nut­zen. Christinas Gedanken dazu pas­sen auch heu­te noch auf vie­le Erkrankte, die vor einer ähn­li­chen Entscheidung ste­hen:

„Einen Rollstuhl zu benut­zen, wür­de für mich bedeu­ten, dass ich auf­ge­ge­ben habe und mich auf mei­ne beschei­de­ne Existenz zu Hause beschrän­ke. Für mich ist er ein Käfig. Papa sieht ihn hin­ge­gen als Thron, […]“
Seite 252

Es gibt Situationen, die auch heut­zu­ta­ge immer wie­der zum Alltag von Behinderten gehö­ren. Immer wie­der kommt es vor, dass Christian Olsen unge­fragt Hilfe auf­ge­zwängt bekommt. Und nie­mand kann ver­ste­hen, dass sie ihr Leben allein und selbst­be­stimmt leben möch­te. Und anstel­le, dass ihr genau dabei gehol­fen wird, wer­den ihr immer wie­der Steine in den Weg gelegt. Und die Helfer sind ein­ge­schnappt, dass ihre Hilfe nicht ange­nom­men wird.

Diese fik­tio­na­le Biografie beschreibt das Leben von Christina Olsen nicht bis zum Ende (sie leb­te von 1893 bis 1963) son­dern kon­zen­triert sich größ­ten­teils auf die Jahre zwi­schen ihrer Jugend und dem Jahr, in dem das Gemälde ent­stand (1948). Wie sie ihren Lebensabend ver­brach­te, konn­te ich nicht in Erfahrung brin­gen.

Fazit

Christina Baker Kline hat mit ihrem Roman „Die Farben des Himmels“ vor­treff­lich nicht nur die Situation der Menschen im 20. Jahrhundert beschrie­ben (wenn man bedenkt, dass es noch nicht mal 100 Jahre her ist und was sich in der Zeit alles geän­dert hat), son­dern auch das Leben einer chro­nisch Kranken, die sich Zeit ihres Lebens in der Gesellschaft behaup­ten muss­te. Der Aufbau der Biografie ist gut und geschickt gewählt gewor­den und konn­te mich fast durch­ge­hend an die Seiten fes­seln. Egal, ob fik­tiv oder nicht, wer ger­ne Biografien liest, soll­te unbe­dingt einen Blick wagen.

christina olsen
Andrew Wyeth. Christina Olson. 1947. Curtis Galleries, Minneapolis. © Andrew Wyeth

In dem Buch wird auch die Entstehung des Portraits von Christina Olsen the­ma­ti­siert. Während Andrew Wyeth ein wirk­lich­keits­na­hes Abbild schaf­fen woll­te, fand die Portraitierte das Bild fürch­ter­lich. Das Buchcover täuscht ein wenig dar­über hin­weg, dass Christina Olsen von ihrer Umgebung als wenig attrak­tiv wahr­ge­nom­men wur­de.

Es hat­te mich nach dem Lesen des Buch schon sehr inter­es­siert, wie ihr Portrait wohl aus­se­hen mag und war ganz froh, dass ich es auf dem MoMa-Blog gefun­den habe.

Das Bild stammt vom MoMa-Blog (Museum of Modern Art in New York). Die Verwendung des Bilds erfolgt mit der freund­li­chen Genehmigung des Museums, das eine Verwendung für nicht-kom­mer­zi­el­le redak­tio­nel­le Pressezwecke zulässt.

die farben des himmels

Titel: Die Farben des Himmels
Autor: Kline, Christina Baker
Genre: Biografischer Roman
Seitenzahl: 352
Verlag: Goldmann Verlag

5/5

Originaltitel: A Piece of the World
Übersetzer: Anne Fröhlich
Herkunft: USA
Jahr: 2017 / 2018 (org./dt.)

Die Verweise zu Amazon sind mit Affiliate-Links ver­se­hen. Das heißt, dass mit einem Kauf über einen die­ser Links, ich von Amazon eine klei­ne Provision erhal­te. Auf den Preis hat das kei­ne Auswirkung.

Das Buch ist übri­gens nur noch auf dem Gebrauchtmarkt erhält­lich. Wer ein wenig sucht, muss nicht mehr als 5 Euro dafür aus­ge­ben.

Werbung

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert