Helmut Flieg wurde in unruhigen Zeiten ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 13.04.1913 geboren. Er war der Sohn einer einflussreichen Kaufmannsfamilie aus Chemnitz. Diese Graphic Novel berichtet von seinem Leben und seinen Erlebnissen aus allen unrühmlichen Perioden des 20. Jahrhunderts. Aus meinem geschützten und geborgenen Leben im Jahre 2024 ist es unvorstellbar, was dieser Mann alles durchgemacht hat.
Die Graphic Novel heißt nicht umsonst »Die sieben Leben des Stefan Heym«, wobei in dieser Graphic Novel gar nicht so eindeutig beschrieben wird, welches die sieben Leben sind (die Graphic Novel hat neun Kapitel). Deshalb hier ein kurzer Abriss der sieben Leben, wie ich sie empfunden habe:
- Das erste Leben geborgen als kleines Kind und als Schüler in Chemnitz.
- Das zweite Leben als Emigrant in Prag.
- Das dritte Leben als Emigrant in den USA.
- Das vierte Leben als Soldat in der Armee der USA
- Das fünfte Leben in der Nachkriegszeit in den USA
- Das sechste Leben wieder als Emigrant in der DDR
- Das siebte Leben im wiedervereinigten Deutschland.
In jedem dieser sieben Lebensstationen fühlt er sich als Journalist und arbeitet auch entsprechend. Er schreibt Romane, Essay und Gedichte, aber immer auch Texte für die unterschiedlichsten Interessengruppen. Aus heutiger Sicht würde man ihn als Aktivisten bezeichnen, der niemals Müde wurde, das Unrecht anzuprangern und als Journalist auf Missstände hinzuweisen.
Ein solches Leben ist überaus komplex und kann sehr unübersichtlich sein. Hier fand ich sehr gut, wie dies in der Graphic Novel umgesetzt wurde. Ganz zu Anfang gibt es eine Legende, die darüber aufklärt, wie diese Biografie aufgebaut ist. Es wird deutlich gemacht, in welcher Zeit die dargestellten Szenen spielen, es werden geschichtliche Hintergründe beleuchtet und seine Lebensumstände beschrieben, es werden seine eigenen Texte kenntlich gemacht und es gibt natürlich die ganz normalen Sprechblasen.
Als Angehöriger der jüdischen Glaubensgemeinschaft erfährt er immer wieder Gewalt gegen sich, nur weil er dieser Gemeinschaft angehört. Später erlebt er Verfolgung, weil er vermeintlich als Kommunist sein Unwesen treibt. Da ist es erstaunlich, wie er immer wieder Kraft schöpft und immer wieder sich gegen dieses Unrecht stemmt.
Dieser bewegende Lebenslauf wird immer wieder durch expressionistische Bilder und Illustrationen untermalt. Der Expressionismus zeigt nicht immer im Detail die Ereignisse, sondern abstrahiert viel und überlässt es dem Betrachter, das passende Gesamtbild im Kopf entstehen zu lassen.
Fazit
Der Leser muss für diese biografische Graphic Novel in der passenden Stimmung sein. Es wird von viel Leid und Unrecht erzählt, das Stefan Heym widerfahren ist. Aber auch von seinem Willen, Lebensmut, sein Engagement für eine Gesellschaft, in der jeder seinen Platz findet. Der expressionistische Zeichenstil passt meines Erachtens sehr gut zu seinem Leben und zu dem, was er erlebt hat. Auf jeden Fall eine sehr außergewöhnliche und fordernde Graphic Novel.
Die Graphic Novel zeigt, dass die Weltgemeinschaft im zweiten Weltkrieg versagte, in dem unzählige Menschen auf der Flucht nirgendwo aufgenommen wurden. Und zeigt damit gleichzeitig, wie wichtig es ist, Menschen auf der Flucht zu helfen, damit sie der Verfolgung entkommen.
Ich persönlich finde bei solchen bewegenden Lebensläufen kein Verständnis für die Politik Israels. Damit meine ich nicht die Souveränität des Staates und auch nicht das Recht auf Verteidigung. Ich meine damit die Siedlungspolitik und die Vertreibung anderer Menschen, wo doch gerade die Geschichte der Juden zeigt, wie schlimm es ist, aus seiner Heimat vertrieben zu werden.
Auf meinem Blog sind bisher einige Werke vorgestellt worden, die diese Missstände thematisieren. Wie z.B. „Eine Familie in Deutschland: Zeit zu hoffen, Zeit zu leben.„, in der Peter Prange die Irrfahrt der St. Louis in seine Geschichte eingeflochten hat. Auch in der Graphic Novel „Shanghai Dream“ ist es Thema, dass die Grenzen für Flüchtlinge aus Deutschland geschlossen wurden. Aber auch das gesellschaftskritische Buch „Ein anderes Israel“ zeigt, dass nicht jeder Israeli mit der Politik zufrieden ist und ganz offen diese kritisiert.
AchtungDieses Buch enthält explizite Beschreibungen Gewalt und ist somit nicht für minderjährige oder zart besaitete Leser geeignet.
Titel: Die sieben Leben des Stefan Heym
Autor: Richter, Gerald
Illustrator: Kretschmer, Marian
Genre: Biografie / Graphic Novel
Seitenzahl: 280
Verlag: C.Bertelsmann Verlag
Band: 1 von 1
Herkunft: Deutschland
Jahr: 2024
In meiner persönlichen Übersicht der empfehlenswerten Comics und Graphic Novels finden sich viele lesenswerte und zum Teil sehr beeindruckende Werke, die alle auf ihre Art und Weise einen Blick wert sind.
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