Die Stadt der tausend Treppen ★★★★★

Was wäre, wenn es nur einen Wimpernschlag bedürfe, um aus einem unterdrücktem Volk das beherrschende werden zu lassen und aus dem beherrschenden das unterdrückte? Ein kurzer Moment, der die Grundfesten zweier Gesellschaften und Völker schlagartig ins Gegenteil kehrt?

So geschehen ist es in dieser Welt als die unterdrückte Bevölkerung des Inselstaats Saypur sich gegen die Unterdrücker des Kontinents erhoben haben und ihre Götter töteten. Götter, die es tatsächlich gab und die erheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen hatten.

Agenten

Dabei spielt in diesem Buch diese übergeordnete Weltenstruktur eine eher untergeordnete Rolle und das Geschehen konzentriert sich auf die Hauptstadt des Kontinents Bulikov, in der ein angesehener Wissenschaftler ermordet wurde.

Daraufhin wird die Agentin Shara des Inselstaats entsendet, die sich in bester Agentenmanier des Problems annimmt. Und so ließt sich das Buch in weiten Teilen auch wie ein Agententhriller, in dem es mehr um politische und gesellschaftliche Strukturen und Zusammenhänge geht als um wüste Action. Letztere gibt es natürlich auch, steht aber nicht derart im Fokus der Story.

Spannend

Die Sicht des Betrachters bleibt größtenteils bei der Hauptprotagonisten Shara. Nur selten verlässt der Erzähler ihre Sichtweise, um einen Nebenschauplatz zu betreten, der sich aber schon nach wenigen Seiten wieder zum Hauptgeschehen wendet. Durch diese Sichtweise bleiben einige Ereignisse unerzählt, aber die Atmosphäre verdichtet sich dadurch erheblich.

Denn trotz aller Politik: spannend ist dieses Buch. Die Götter, das Vergangene und das aktuelle werden geschickt ineinander verwoben und dem Leser werden wie der Hauptprotagonistin nach und nach wesentliche Puzzleteile serviert, die sich zu einem großen Ganzen formen und in einem fulminanten Finale enden.

Anspruchsvoll

Das Buch wurde in einer durchaus gehobene Sprache geschrieben, in dem der Leser mit Worten wie ostentativ oder Idolatrie konfrontiert wird oder er gar wissen muss, was ein Ifrit ist. Gepaart mit der teilweise etwas verzwickten Story richtet sich das Buch zurecht an ein erwachsenes Publikum. Und ich bin ehrlich gesagt recht froh, dass es mal keine Jugendbuchreihe ist, die im Fantasygenre erschienen ist.

Apropos Reihe: das Buch ist in sich abgeschlossen, auch wenn ein zweiter Band (Die Stadt der toten Klingen) im September November diesen Jahres erscheinen soll.

Unstimmigkeiten

Ich finde es zwar grundsätzlich gut, wenn der Leser ohne großartigen und ausschweifenden Beschreibungen ins Geschehen geworfen wird. Aber dann erwarte ich dennoch, dass die Welt im Laufe der Zeit etwas beschrieben wird. Und das fällt mir ein bisschen schwer.

Denn wenn Autos und LKW fahren oder Fotografen ein Blitzlichtgewitter auslösen (auch wenn diese Erfindung erst fünf Jahre jung ist), dann hat es schon etwas von der hiesigen Welt. Andere Beschreibungen der Welt erinnern hingegen eher an mittelalterliche Zeiten. In meinem Kopfkino ließen sich diese Welten beim Lesen des Buchs manchmal nur schwer in Einklang bringen.
Dadurch, dass der Fokus aber eindeutig nicht in der Weltenbeschreibung liegt, wiegt dieser Umstand nicht wirklich negativ aus, aber wer eine fantastische Weltenbeschreibung sucht, dürfte hier enttäuscht werden.

Über die Qualität der Übersetzung kann ich nichts sagen, weil ich das Original nicht gelesen habe, aber ich bin über ein paar “unrunde” Textstellen gestolpert, die ich von einem lektorierten Verlagsbuch nicht erwartet hätte, wie zum Beispiel “Aus dem letzten Beinamen war sie nie klug geworden” anstelle von “schlau” (Pos. 378) oder „Heutzutage liegt das Schwergewicht auf Wirtschaftswissenschaften.“ anstelle von Schwerpunkt (Pos. 788). Es sind schon einige sprachliche Ungereimtheiten in diesem Buch zu finden. Allerdings neige ich persönlich nicht dazu, ein Buch deshalb abzuwerten. Das muss jeder Leser für sich selbst entscheiden, wie wichtig ihm das ist.

Fazit

Ich habe den Eindruck, dass sich im Fantasy Genre vor allem in den letzten Jahren unverhältnismäßig viele Jugendbuchreihen tummeln, so dass ich recht froh war, dieses durchaus anspruchsvolle Werk gefunden zu haben, das sicherlich nicht einfach zu lesen ist, aber auch keinen gestandenen Leser überfordern dürfte.

Das Buch ist eindeutig ein Genremix, liest es sich über weite Strecken wie ein klassischer Agententhriller und nicht wie ein Fantasyroman. Dennoch kommen Freunde der Fantasy nicht zu kurz, so sie denn Götterwelten nicht abgeneigt sind.

Zum Schluss nochmals der Hinweis, dass dieses Buch in sich abgeschlossen ist, auch wenn ein zweiter Teil für September schon angekündigt wurde. Von mit bekommt das Buch eine ganz klare Leseempfehlung.

Titel: Die Stadt der tausend Treppen
Autor: Bennett, Robert Jackson
Genre: Fantasy
Verlag: Bastei Entertainment
Bewertung: ✦✦✦✦✦


Wer in die ersten Seiten reinlesen möchte, kann dies direkt machen:

12 Kommentare

  1. Guten Tag!
    „Aus dem letzten Beinamen war sie nie klug geworden“ anstelle von „schlau“ (Pos. 378) oder „Heutzutage liegt das Schwergewicht auf Wirtschaftswissenschaften.“ anstelle von Schwerpunkt ”

    Habe interessehalber extra nachgeschaut. Der Duden findet es nicht “unrund”. Beides ist korrekt.

  2. Ich hatte das Buch mal in der Vorschau des Verlags gesehn, aber bin wegen der politischen Andeutungen ins stocken geraten (hab viele negative Erfahrungen mit Agenten & Co gemacht)
    Mal schaun, ob ich es mal gebraucht bekomme, denn zum reinschnuppern sind mir €11,00 dann doch zu teuer 😛

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