[Klassiker] Das Bildnis des Dorian Gray

„Das Bildnis des Dorian Grey“ von Oscar Wilde kannte ich bisher nur in Form von Adaptionen. Als das Hörbuch bei Audible in der Sparte auftauchte, die für Abonnenten ohne zusätzliche Kosten gehört werden können, war meine Neugierde geweckt, das Buch in seiner Originalfassung zu hören. Oscar Wilde veröffentlichte zuerst eine kürzere Fassung 1890 in einer Zeitschrift und anschließend ein Jahr später die heute bekannte Fassung in Buchform. Es ist der einzige Roman des Schriftstellers, der seiner Zeit für mehrere Skandale sorgte und wegen „homosexueller Unzucht“ 1895 zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Diese Haft, in der er zu Zwangsarbeit genötigt wurde, ruinierte seine Gesundheit, so dass er anno 1900 verarmt im Alter von 46 Jahren starb.

Warum ich kurz den Hintergrund zu Oscar Wilde skizziere? Weil ich ehrlich gesagt ein wenig entsetzt bin, wie antisemitisch und frauenverachtend der Roman ist und wie wenig darauf in den Buchbesprechungen bzw. Literaturkritiken darauf eingegangen wird. Und ich denke, dass auch im Zeichen der Zeit, zu der dieser Roman entstand, es mich wundern lässt, dass dieser derart populär geworden ist.

Die Handlung dürfte den meisten bekannt sein. Im Mittelpunkt steht der reiche und attraktive Doran Grey, dessen Portrait an seiner statt altert. Und nicht nur dass, sondern es nimmt auch alle Laster auf, die Dorian Grey in seinem Leben auf sich nimmt. Vor allem zu Beginn des Roman kommt jedoch einer anderen Hauptfigur eine entscheidende Rolle zu. Lord Henry Wotton verführt mehr oder minder den jungen Adeligen und setzt ihm den Floh ins Ohr, dass Narzissmus eine erstrebenswerte Charaktereigenschaft ist. In dieser Figur kommt die Frauenfeindlichkeit des Romans vollkommen zur Geltung und macht ihn so zu einem der unsympathischen Charaktere des Romans. Wobei auch die anderen Figuren nicht unbedingt dadurch glänzen, mit Dekadenz und Heroisierung der Oberschicht Sympathiepunkte beim Leser zu erhaschen.

Kann man die Frauenverachtung vielleicht noch als Eigenschaft der literarischen Figuren deuten, so ist der Antisemitismus fester Bestandteil der Erzählstruktur. Dieser zeigt sich an vielen Stellen im Roman, wie z.B. bei den Beschreibungen des jüdischen Theaterdirektors, den er immer wieder als „widerlichen Juden“ mit „fettigen Locken“ bezeichnet. Auch an anderen Stellen taucht der Antisemitismus immer wieder auf.

Tatsächlich kann der Roman auch auf erzählerischer Seite nicht in Gänze überzeugen. Ist der Anfang noch sehr interessant und kann mit seinen Dialogen einen Spannungsbogen aufbauen (wenn auch teils mit verachtenswerten Inhalten), so lässt seine erzählerische Kraft ab dem Mittelteil deutlich nach. Es beginnt quasi im Mittelteil, in dem eine Zeitspanne im Leben der Hauptfigur stark gerafft vorgetragen wird. Es zieht sich anschließend wie Gummi, auf welche Art und Weise Grey sich selbstverwirklicht.

Da ich das Buch als Hörbuch gehört habe, noch ein paar Worte zu Lutz Riedel, der den Roman eingesprochen hat. Zu Beginn des Romans macht der Sprecher eine gute Leistung und es ist angenehm seiner Stimme zu folgen. Ab dem Zeitpunkt im Buch, in dem es erzählerisch abflacht, so wird dies durch den Sprecher ein wenig verstärkt. Zumindest hat es so auf mich gewirkt. Ich denke auf der anderen Seite aber nicht, dass dieser Part des Buchs interessanter wird, wenn ein anderer Sprecher diesen einspricht.

Fazit

Ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, wie verklärt auf diesen Roman geschaut wird. Sowohl inhaltlich wie auch erzählerisch konnte mich der Roman überhaupt nicht überzeugen. Es wird alles Mögliche in diesen Roman hineininterpretiert, wobei es mir unerklärlich ist, dass die Frauenfeindlichkeit und der Antisemitismus so wenig Raum in den Besprechungen zu dem Buch einnehmen. Was Herr Wilde nicht alles mit seinem Roman hat ausdrücken wollen, ich kann nicht alles nachvollziehen was ihm nachgesagt wird. Es hat für mich fast den Anschein, dass das anrüchige Leben des Autors viel eher zum Erfolg des Romans beigetragen hat als dieser selbst. Ich lese gerne auch mal ältere Bücher, so dass ich mit älteren Erzählstilen durchaus vertraut bin. Dies ist es nämlich nicht, weshalb ich diesen Roman überhaupt nicht empfehlen kann und ich denke auch nicht, dass man diesen gelesen haben muss.

dorian grey

Titel: Das Bildnis des Dorian Gray
Autor: Wilde, Oscar
Sprecher: Riedel, Lutz
Genre: Hörbuch / Klassiker / Fantasy
Hörzeit: 9 Stunden und 43 Minuten
Verlag: Audible Studios
Print: diverse

1/5

Originaltitel: The Picture of Dorian Gray
Übersetzer: unbekannt
Herkunft: USA
Jahr: 1891/ 1901 / 2009 (org./dt./dieses Hörbuch)

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6 Kommentare

  1. Hi Frank!

    Das ist ja echt interessant!
    Ich selber hab das Buch noch nicht gelesen (hab es aber noch vor) – und hab jetzt grade mal meine Tochter gefragt. Sie hat das Buch vor 3-4 Jahren gelesen (auf englisch und in einer unzensierten Ausgabe) und sie hat es anders empfunden.
    Sie meinte, die Beschreibungen seien der damaligen Zeit geschuldet und an Frauenfeindlichkeit kann sie sich nicht erinnern 😀 Jetzt bin ich echt neugierig und denke, dass ich es jetzt doch mal vorziehen muss. Zwei so gegenteilige Meinungen, da bin ich gespannt wie ich das empfinden werde ^^

    Liebste Grüße, Aleshanee

    1. Hi Aleshanee,
      da bin ich aber mal gespannt, wie Du das siehst 🙂 Bei der Frauenfeindlichkeit stimme ich noch zu, dass es im Zeichen der Zeit zu betrachten ist und viele Romane aus dieser Zeit Frauen als minderwertige Wesen behandeln. Dass Deiner Tochter das nicht aufgefallen ist, wundert mich allerdings ein wenig.

      Der Antisemitismus mag Ende des 19. Jahrhunderts ja auch in der Gesellschaft fest verankert sein, aber dennoch ist dieser nur selten dergestalt in den Büchern der Zeit zu lesen.

      Ich lasse mich überraschen, wie Du den Roman empfindest 🙂

      Viele Grüße
      Frank

      1. Naja, meine Tochter … sie ist sehr aufgeschlossen und natürlich auch für die Frauen – aber sie weiß natürlich auch wie es früher war. Aber sie hat jetzt kein Problem damit, grade in älteren Werken wenn da sowas aufkommt. Sie stört sich einfach nicht daran. Sie betrifft es ja nicht 😉

        Das mit dem Antisemitismus, ich denke da ist es ähnlich, da weiß sie, was damals los war und findet es nicht „besonders“ wenn in diesen alten Werken sowas angesprochen wird. Ich kanns ja jetzt nicht beurteilen, weil ich nicht weiß, wie und in welcher Art hier das Thema aufkommt. Vielleicht liegts auch daran, weil sie es auf englisch gelesen hat und einiges dabei untergegangen ist? An sich kann sie sehr gut englisch (schaut auch Serien immer im Original und liest auch die meisten Bücher auf englisch), aber sie meinte schon, dass es anspruchsvolles Englisch ist.

        Mal sehen, wie es mir damit geht ^^

        1. Das kann natürlich sein, dass es im englischen Original nicht ganz so deutlich wird oder durch die altertümliche Sprache etwas untergegangen ist. Aber Du wirst es ja bestimmt auf Deutsch lesen und jetzt allein durch diese Diskussion ein wenig mehr darauf achten. Das wirst Du jetzt nicht mehr verhindern können 😀

  2. Hallo Fank,
    eine sehr interessante Rezension! Ich habe das Buch vor einiger Zeit angefangen zu lesen, es aber so ca. nach der Hälfte abgebrochen, da ich leider nicht so viel damit anfangen konnte. Ich kann deine Kritikpunkte auch absolut nachvollziehen und habe mich immer sehr über den ‚Hype‘ gewundert.
    Ganz liebe Grüße, Steffi von
    https://steffi-liest.blogspot.com/

    1. Hallo Steffi,
      das kann ich nachvollziehen, dass Du Dir das nicht bis zum Ende antun wolltest. Das ist ein wenig der Vorteil eines Hörbuchs: Der Erzähler macht einfach weiter 😀 Und glücklicherweise, dauerte es nicht so ewig lang.
      Viele Grüße
      Frank

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