Montagsfrage #69: Kann ein Autor über etwas außerhalb der eigenen Erfahrung schreiben?

montagsfrage lauter leise

Wenn Antonia phi­lo­so­phisch wird, dann liegt es an mir, zuerst zu erklä­ren, wohin die Frage abzielt. Es geht näm­lich nicht dar­um, ob Tolkien in Hobbingen gewe­sen sein muss, um „Der Herr der Ringe“ zu schrei­ben und auch nicht dar­um, ob ein Autor wirk­lich mal jeman­den töten muss, um einen Krimi zu schrei­ben. Es geht viel­mehr um die Lebenserfahrung, die die Figuren in den Roman haben und erle­ben und wie es der Autor schafft, die­se glaub­wür­dig dar­zu­stel­len.

Kann ein Autor den Verlust eines Kindes nach­voll­zie­hen, der nie Kinder hat­te? Nein, ganz sicher nicht. Kann er aber ver­su­chen sich in eine sol­che Person hin­zu­ver­set­zen und es dem Leser glaub­wür­dig ver­mit­teln? Wenn er gut ist, ja.

Ich den­ke schon, dass Autoren ihre per­sön­li­chen Erfahrungen in den Romanen, die sie schrei­ben, ver­ar­bei­ten. (Ich möch­te gar nicht wis­sen, was Stephen King so alles erlebt haben mag.) Aber zugleich den­ke ich, dass (gute) Autoren voll von Ideen sind oder gar einen kom­plet­ten Plot vor Augen haben, der sich in den Gehirnwindungen fest­ge­setzt hat. Man den­ke nur an die 30 Jahre, die Stephen King in sei­nem dunk­len Turm ver­bracht hat oder an Robin Hobb, die in ihrem „Reich der Uralten“ seit über 10 Jahren fest­hängt und dort ver­mut­lich noch immer ver­weilt.
Manche Autoren quel­len förm­lich vor Ideen über, die sie zu Papier brin­gen müs­sen (wie z.B. Markus Heitz, der sich in allen Genres zu tum­meln scheint), wäh­rend ande­re schein­bar quä­lend lang­sam die Worte zu Papier brin­gen.

Aber so sehr die Autoren ihre per­sön­li­chen Erlebnisse ver­ar­bei­ten, so glau­be ich sehr wohl, dass vie­le Autoren irgend­wann nicht mehr auf ihren per­sön­li­chen Erfahrungsschatz zurück­grei­fen kön­nen. Und dann trennt sich wohl die Spreu vom Weizen. Denn dann schafft es auch ein Mann (glaub­wür­dig) über die Gefühlswelt einer Frau (und umge­kehrt) zu schrei­ben, der Kinderlose über das Familienchaos und eben der Friedfertige über den blut­rüns­ti­gen Mörder.

Ich gehe sogar noch einen Schritt wei­ter und behaup­te, dass vie­le Autoren in ihren Geschichten eben das ver­ar­bei­ten zu ver­su­chen (und manch­mal sicher­lich auch kön­nen), was eben nicht zu ihrem Erfahrungsschatz gehört. Manche gehen dar­in auf, ande­re über­trei­ben es, aber in jedem Fall ver­las­sen sie ihre eige­nen bekann­ten Pfade. Und ja, ich den­ke, dass die Autoren die­se Pfade ver­las­sen müs­sen und über etwas schrei­ben müs­sen, was sich nicht in ihrem Erfahrungsschatz befin­det, um einen guten Roman zu schrei­ben.

Zum Beitrag auf Lauter & Leise.

Schon gesehen?

Am Wochenende habe ich auf mei­nen Lese-Januar zurück­ge­schaut.

Wie gehabt lese ich die Beiträge der ande­ren Montagsantwortler, ohne immer eine Spur zu hin­ter­las­sen. Das gilt übri­gens auch für die “Nachzügler”, die erst zum Ende der Woche ihre Beiträge ver­öf­fent­li­chen. Oftmals schaue ich auch am Wochenende noch­mals in den Originalthread.

Ich habe mir mal den Spaß gemacht und alle Fragen zusam­men­ge­fasst, die hier auf dem Blog von mir beant­wor­tet wur­den. Neben der Montagsfrage sind auch ande­re Aktionen dabei, bei denen ich mit­ge­macht habe.

3 Kommentare

  1. Hey Frank,

    alle, die High Fantasy lie­ben, wis­sen, dass eige­ne Erfahrungen kei­ne Voraussetzung für ein gutes Buch sind. Sonst wäre das mit Mittelerde wohl nichts gewor­den. Deshalb habe ich mich der Frage heu­te anders genä­hert und mich gefragt, wie­so die­se eigent­lich recht haar­sträu­ben­den Geschichten trotz­dem funk­tio­nie­ren. Ich kam zu dem Schluss, dass es beim Schreiben und Lesen pri­mär um Empathie geht, um das Vermitteln von Emotionen. Wir wol­len füh­len, des­halb lesen wir. Alles ande­re wie ein über­zeu­gen­des Setting oder ein­neh­men­de Charaktere sind ledig­lich Extras, die zwar viel über die Qualität aus­sa­gen, allein aber nicht bestehen kön­nen. Wir brau­chen Gefühle, um uns in den Geschichten zurecht­zu­fin­den, uns begeis­tern zu las­sen. Daher bin ich fest über­zeugt, dass Empathie das Rückgrat jeder Erzählung ist.

    Montagsfrage auf dem wort­ma­gie­b­log
    Liebe Grüße,
    Elli

  2. Hallo Elli,

    ich glau­be, es ist immer ein biss­chen von allem. Natürlich braucht es auch Empathie (sowohl auf sei­ten des Schreibers als auch beim Leser), aber man merkt es den Büchern auch an, wenn sie von jun­gen oder uner­fah­re­ne­ren Autoren geschrie­ben wur­den. Und wenn das Setting nicht passt oder die Story löch­rig von Logiglücken ist, hilft auch kei­ne noch so emo­tio­na­le Charakterentwicklung. Ich find, es muss ein­fach alles pas­sen. Und natül­rich gehört das Schreiben als sol­ches ja auch zu den Erfahrungen, die ein oder macht …

    Viele Grüße
    Frank

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