[Ratgeber] Introvertiert, na und?

Viele Prominente haben mit ihren Berichten über Ihre Depressionen, die­se Erkrankung zu Recht ins Licht der Gesellschaft gestellt, so dass bekann­ter und kla­rer wur­de, dass eine Depression eine ernst­zu­neh­men­de Erkrankung ist, die man nicht mit einem Lächeln oder einem Gang durch die Natur hei­len kann. Genau das Gleiche erhof­fe ich mir von der Introversion, die unse­rer extro­ver­tier­ten Welt gern unter den Teppich gekehrt wird. Es gibt näm­lich einen rie­sen­gro­ßen Unterschied zur Depression. Die Introversion ist ein Persönlichkeitsmerkmal, also etwas, das den Menschen bei der Geburt mit­ge­ge­ben wur­de und nicht geheilt wer­den kann. 

Saskia Fröhlich räumt in ihrem Buch mit zahl­rei­chen Vorurteilen auf, wobei ich an vie­len Stellen dach­te, dass mei­ne Mitmenschen im ers­ten Moment über­haupt nicht auf dem Schirm haben, dass ich ein intro­ver­tier­ter Mensch sein könn­te. Sie zie­hen die­sen Aspekt über­haupt nicht in Erwägung, son­dern packen mich wie alle ande­ren intro­ver­tier­ten Menschen in ande­re Schubladen.

Da hel­fen sol­che Bücher enorm, um mit zahl­rei­chen Vorurteilen auf­zu­räu­men.

In ihrem Buch beschreibt sie oft­mals sehr sach­lich, was die Introversion ist und wie sie sich bei ihr gezeigt hat. Sie gibt aber auch immer wie­der hand­fes­te Tipps, wie intro­ver­tier­te Menschen in bestimm­ten Situationen bes­ser klar­kom­men und wie sie ver­mei­den, dass sie sich selbst in die Enge trei­ben.

»Introversion ist das ange­bo­re­ne Bedürfnis nach regel­mä­ßi­ger Reizarmut und Ruhe« (Seite 71)

Die Autorin greift in ihrem Buch auf ver­schie­de­ne Stilmittel zurück, um dem Leser die Introversion näher­zu­brin­gen. Dabei haben mir man­che Passagen weni­ger (wie z.B. ein »inne­res« Interview) und man­che ganz gut gefal­len (wie z.B. die Alles-Anamnese). Sie unter­malt ihre Erläuterungen immer wie­der mit Episoden aus ihrem Leben, um zu ver­deut­li­chen, dass das, was sie gedacht und wie sie gehan­delt hat­te, manch­mal zwei Paar Schuhe waren. Zusätzlich hat sie aber immer wie­der die Fakten spre­chen las­sen und hat im Klartext geschrie­ben, was den Introvertierten aus­macht und was nicht. Dadurch erhält das Buch durch­aus einen Ratgeber-Charakter.

Ich habe das eBook gele­sen, wes­halb die inter­ak­ti­ve Geschichte des »Smalltalk-Labyrinths« nicht so recht grei­fen woll­te. Hier wäre es bes­ser gewe­sen, wenn die Sprünge zu den ande­ren Seiten ver­linkt gewe­sen wären (so wie bei Fußnoten).

Für mein Gefühl hat die Autorin so man­ches trau­ma­ti­sche Erlebnis aus ihrer Vergangenheit zu inten­siv aus­ge­brei­tet und so man­cher Aspekt wie­der­holt sich im Laufe des Buchs auch mal ger­ne. Zudem greift ihr Humor nicht immer, was aber indi­vi­du­ell anders emp­fun­den wer­den dürf­te. Dafür fand ich die Empörung dar­über, dass ihr Mitschüler mit der stil­len Treppe belohnt wur­de, herr­lich.

Die Autorin erklärt natür­lich auch, wie sie zum Stand-Up gekom­men ist und wie sie mit ihrer Introversion die­ses Hobby bzw. Beruf nach­ge­hen kann.

Das Buch zeigt aber auch, dass vie­le Introvertierte in ihrer Kindheit den­ken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, weil sie in die »nor­mal-extro­ver­tier­te« Gesellschaft nicht hin­ein­pas­sen. Dieses Buch ist also ein­deu­tig auch für Eltern gedacht, die den­ken, dass mit ihrem Kind irgend­was nicht stimmt, weil es so ruhig und schüch­tern ist bzw. gern mal allein spielt. Denn auch dies zeigt Saskia Fröhlich: Ohne die Hilfe und Unterstützung ihrer Mutter hät­te ihre Kindheit ganz anders aus­ge­se­hen.

Hinweis: Manchmal hat­te ich beim Lesen den Eindruck, als wür­de sie den intro­ver­tier­ten Menschen grund­sätz­lich dazu raten, einen ärzt­li­chen Rat ein­zu­ho­len. Mag sein, dass ich hier was falsch ver­stan­den habe, denn dies ist nur dann nötig, wenn ein Leidensdruck wegen aus der Introversion her­vor­ge­hen­den Störungen und Krankheiten ent­wach­sen. Der Introvertierte als sol­cher braucht natür­lich kei­ne ärzt­li­che Hilfe, son­dern ein paar Tipps, wie er in bestimm­ten Situationen mit sei­ner Introversion zurecht­kom­men kann.

Ein paar per­sön­li­che Gedanken
Da ich auch ein intro­ver­tier­ter Mensch bin, kann ich vie­le Situationen nach­voll­zie­hen. Andere hin­ge­gen weni­ger. »Hinterher hat’s doch Spaß gemacht.« gilt lei­der nicht immer. Zumindest in mei­nem Fall.

Es ist kaum ein Mensch zu 100% intro­ver­tiert oder zu 100% extro­ver­tiert. Die meis­ten Menschen haben von bei­dem etwas und wer­den als ambi­ver­tiert bezeich­net.

Um eine Introversion zu erklä­ren, wird ger­ne auf das Bild des sozia­len Akkus zurück­ge­grif­fen. So auch Saskia Fröhlich. Das Prinzip ist recht ein­fach. Ist der Introvertierte in sozia­ler Interaktion, so leert sich der Akku, kann er sich zurück­zie­hen, lädt er sich wie­der auf. Damit grenzt sich die Akku-Theorie von der Löffeltheorie ab, denn wenn im Laufe des Tages alle Löffel ver­braucht sind, dann sind die erst­mal weg und kön­nen erst mit­tels län­ge­rer Regenerationsphasen auf­ge­füllt wer­den. (Was ist die Löffeltheorie?)

Es ist sehr trau­rig, wie vie­le Falschinformationen über Introvertierte im Netz kur­sie­ren. Und das auch auf bekann­te­ren Seiten.

Ganz oft hilft es, über das Ausschlussverfahren zu erklä­ren, was eine Introversion ist. Sie ist kei­ne Erkrankung und auch kei­ne angst­ba­sier­te Störung. Es hat nichts mit Schüchternheit zu tun und kann nicht abtrai­niert wer­den. Wer als intro­ver­tier­ter Mensch gebo­ren ist, wird auch als intro­ver­tier­ter Mensch ster­ben.

Mitmenschen (auch das direk­te Umfeld) stel­len vie­le Introvertierte als zu bequem dar und miss­ver­ste­hen, dass Alleinsein und das Bedürfnis nach Ruhe nichts mit Einsamkeit, Faulheit oder Komfortzone zutun hat.

cover

Titel: Introvertiert, na und?: Lieber nur dabei statt mit­ten­drin
Autor: Fröhlich, Saskia
Genre: Ratgeber / Autobiografie
Seitenzahl: 273
Verlag: Fischer Verlag

Herkunft: Deutschland
Jahr: 2024

Dieses Buch wur­de mir über die Plattform Netgalley als E‑Book zur Verfügung gestellt. NetGalley gibt kei­ner­lei Vorgaben über die Art und Weise, wie Bücher bewer­tet oder vor­ge­stellt wer­den. Mehr Infos dazu auf der Seite “Über die­sen Blog”.

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3 Kommentare

  1. Guten mor­gen,
    Introvertierte – oft den­ke ich – das bin ich auch. Aber dann kom­men mir Zweifel. Aber ich brau­che so oft mei­ne Ruhe, das Dorfleben ohne Stadtgeschwirre, die Abgeschiedenheit, das Alleinsein – ja ich bin intro­ver­tiert, den­ke aber, das ich das nicht wahr­ha­ben will. Denn oft bin ich auch ger­ne mit Menschen zusam­men und gehe auch oft auf Buchmessen. Aber da z. B. mag ich abends nichts mehr unter­neh­men, weil ich ein­fach platt bin. Das mit dem sozia­len Akkus fin­de ich für mich pas­send.
    Ich geste­he, ich bin unsi­cher, was in der Beziehung mit mir ist. Ich kann mich den gan­zen Tag – und oft auch zwei oder drei Tage hin­ter­ein­an­der sel­ber beschäf­ti­gen und bin so was von zufrie­den. Aber was bin ich wirk­lich?
    Jetzt schau ich mal auf Deinen Schwesterblog vor­bei 🙂
    Liebe Grüße
    Anja

    1. Hallo Anja,

      es gibt nur sel­ten Menschen, bei denen eine Introversion stark aus­ge­prägt ist. Die meis­ten Menschen haben von bei­den Persönlichkeitsmerkmalen etwas mit­be­kom­men. Vermutlich hast Du eine Mischung aus bei­dem, was sich dar­in zeigt, dass Du mal das Bedürfnis nach Ruhe und mal nach Geselligkeit hast. Lass doch ein­fach Dein Bauchgefühl end­schei­den 🙂

      Herzliche Grüße
      Frank

      1. Danke, lie­ber Frank
        ich ver­su­che es, auf mein Bauchgefühl zu hören. Manchmal gar nicht so ein­fach, weil man sich oft erklä­ren muss bei ande­ren Menschen. Vor allem, wenn man nicht mit­fei­ern will…
        Grüße
        Anja

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