Im Vorwort des Buchs fordert die Autorin Julia Knörnschild, »die Stigmatisierung psychischer Krankheiten zu beenden und sich vom Ideal der perfekten Mutter zu verabschieden.« Dazu passt ein anderes Buch, das ich kürzlich gelesen habe, in dem die Kinder in Deutschland als Minderheit beschrieben werden, die zwingend mehr Aufmerksamkeit benötigen. Und natürlich sind in unserer alternder Gesellschaft nicht nur Kinder eine Minderheit, sondern auch die Eltern.
Ob der Werdegang von Julia Knörnschild für die Mütter Deutschlands exemplarisch ist, wage ich zu bezweifeln, stimme aber zu, dass sehr oft gefordert wird, dass Eltern funktionieren müssen. Und man kann es drehen und wenden wie man möchte, auch in Deutschland ist noch das Patriarchat der weißen Männer vorherrschend, so dass den Müttern auch heute noch eine andere Rolle zugeschrieben wird als den Vätern.
(Und ich weiß, wovon ich rede. Wir hatten es versucht, bei unserem zweiten Kind die Rollen zu tauschen, indem ich vier Monate in Elternzeit ging, während meine Frau zu 100% arbeitete. Ein Experiment, das aus mehreren Gründen kläglich scheiterte. Am Ende sind wir wieder da gelandet, dass ich in Vollzeit arbeite und meine Frau in Teilzeit. Aber das ist ein anderes Thema, das in diesem Buch nicht weiter vertieft wurde.)
Julia Knörnschild hat durchaus zusätzliche Baustellen am Start, die ich nicht grundsätzlich bei Müttern sehe, wie z.B. den Alkoholmissbrauch und ADHS. Interessant dabei, wie ihr gesagt wurde, wie sich Alkoholmissbrauch definiert.
»Egal, was man trinkt, sobald man Alkohol dafür nutzt, um sich einigermaßen wohlzufühlen, um die eigene Stimmung aufzubessern oder die Gedanken zu betäuben, sprechen wir von Alkoholmissbrauch.«
(bei 16% des eBooks)
Auch die Aussage zu ADHS ist spannend und lässt sich sehr gut auch auf andere Erkrankungen wie den Asperger Autismus übertragen:
»AD(H)S kann bei Erwachsenen oft übersehen werden, da sie sich unterbewusst Bewältigungsstrategien überlegen, um sich dem System anzupassen.«
(bei 23% des eBooks)
Die Autorin beschreibt sehr viel über sich, was in ihr vorging und wie sie mit ihrem Leben und ihren Jobs zurechtkam. Mit eigener Firma und der Produktion diverser Podcasts und dem Führen einiger Influencer Accounts, dürfte die Autorin deutlich mehr in ihrer eigenen Berufswelt verankert sein als die deutsche »Standard-Mama«. Was mir ein wenig fehlte, war die Beschreibung, wie sie mit der Außenwelt interagiert hat, insbesondere mit ihrer Familie. Also die Schleife zurück, wie ihr Mann und ihre beiden Kinder auf sie reagiert haben, als sie in ihrer Blase unterwegs war.
Es ist zwar interessant zu lesen, wie die Autorin mit Hilfe von unterschiedlichsten Stellen ihr Leben wieder in den Griff bekam, aber am Ende bescheinigt sie ihrem Werdegang leider kein Happy End:
»Die Depression, die ich dachte für immer bekämpft zu haben, feiert ihr Comeback.«
(bei 94% des eBooks)
Leider ist es so, dass wenn die dunklen Gedanken mal in einem Menschen Fuß gefasst haben, sie immer wieder auftauchen werden.
Fazit
Natürlich kann ich mich als Vater von drei Kindern nur in Grenzen in die Lebenssituation der Mütter hineinversetzen (und ja liebe Mamis da draußen, das gilt auch andersherum). Mamas sind in der deutschen Gesellschaft anders verankert als die Väter. Dennoch denke ich, dass Julia Knörnschild ein sehr spezieller Fall ist und nicht exemplarisch die Probleme der Mütter in Deutschland repräsentiert. Deshalb richtet sich das Buch eher an jene Leser, die grundsätzlich Interesse am Leben anderer Menschen haben.
Wer bei sich selbst oder einem Angehörigen Merkwürdigkeiten entdeckt, die auf eine Depression oder gar einen bevorstehenden Selbstmord hindeuten, der wende sich an die kostenfreien Nummern der Notfall-Seelsorge und Suizid-Prävention:
0800 111 0 111 (ev)
0800 111 0 222 (rk)
0800 111 0 333 (für Kinder und Jugendliche)
0800 33 44 533 (Info-Telefon zum Teema Depression)
Noch mehr Informationen und Hilfsangebote für Betroffene finden sich im Internet unter suizidprophylaxe.de und deutsche-depressionshilfe.de.
In diesem Buch wird gegendert, was manchmal das Lesen erschwert. So gibt es nicht nur selten verwendete Worte, wie z.B. die Gästin, sondern auch Satzkonstrukte wie »seine*n eigene*n Psychiater*in«. Ich bin immer noch dafür, dass man entweder die grammatikalischen Geschlechter beibehält, oder aber die Berufsgruppen doppelt nennt. Dann werden die Ausdrücke zwar länger, aber für mein Empfinden besser lesbar. Obiges Beispiel lautet dann: »seine eigene Psychiaterin bzw. seinen eigenen Psychiater«.
Ich bin ehrlich sehr froh, dass der Trend rückläufig ist, Texte durchzugendern und auch die Nachrichtensprecher machen nicht mehr die Anstandspausen beim Sprechen.
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Titel: Mama kann nicht mehr
Autor: Knörnschild, Julia
Genre: Biografie / Ratgeber
Seitenzahl: 219
Verlag: KiWi Verlag
Herkunft: Deutschland
Jahr: 2025
Dieses Buch wurde mir über die Plattform Netgalley als E‑Book zur Verfügung gestellt. NetGalley gibt keinerlei Vorgaben über die Art und Weise, wie Bücher bewertet oder vorgestellt werden. Mehr Infos dazu auf der Seite “Über diesen Blog”.
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Der Büchernarr schreibt hauptsächlich über Bücher aus den Genres Fantasy und Horror. Manchmal schleichen sich Bücher anderer Genres in diesen Buchblog ein, so dass hier auch Biografien, historische Romane oder Kinderbücher zu finden sind.