[Autobiografie] Mama Held: Jedes Kind hat ein Recht auf Familie

Es ist schon erstaun­lich, dass sich Kerstin Held mit die­sen Kindern abgibt. Und das frei­wil­lig! Wer nun unver­ständ­lich die Augenbrauen hebt und „selbst schuld“ denkt, dem emp­feh­le ich die­sen auto­bio­gra­fi­schen Bericht von “Mama Held”, die viel zu oft der­ar­tig absto­ßen­de und dis­kri­mi­nie­ren­de Sätze zu hören bekommt. Dieses Buch zeigt auf erschre­cken­der Weise, wie weit Deutschland in den 90ern von einer inklu­si­ven Gesellschaft ent­fernt war und auch heu­te noch ist, obgleich sich schon vie­les zum Besseren gewen­det hat.

Ein Verdienst, den sich die Autorin teils selbst zuzu­schrei­ben hat. An man­chen Stellen trieft das Buch nur so vor ihrem Stolz, was sie alles erreicht hat. Nach Beendigung des Buchs sage ich, dass sie zurecht auf das stolz sein kann, was sie bis­her erreicht hat. Mit wel­cher Kraftanstrengung sie die Steine Stück für Stück weg­ge­räumt hat, die ihr in den Weg gelegt wur­den.

“Warum nur, lie­be Ärzte und Stationsschwestern, seht ihr in uns eine Konkurrenz, die man angrei­fen soll­te? Warum seht ihr in uns nicht Partner? Wir sind doch alle an einem inter­es­siert: dass es den Kindern gut geht. Bitte lasst uns an einem Strang zie­hen!” (bei 79% des E‑Books)

Die Autorin lässt einen tie­fen Blick in ihr Innerstes zu und beschreibt sehr emo­tio­nal von ihrer eige­nen Kindheit und den Hürden, die sie zu meis­tern und zu ver­ar­bei­ten hat­te. Sie lässt Einblicke in ihr Privatleben, ihre Partnerschaften und natür­lich in ihre Bindungen zu den unter­schied­li­chen Kindern zu. Dadurch bekommt der Leser ein sehr umfas­sen­des Verständnis für das, was Kerstin Held bis heu­te geschaf­fen hat. Daraus ent­ste­hen Einblicke in die Erziehung von behin­der­ten Kindern und wie das Umfeld damit umgeht.

Wie oft haben Eltern von Kindern mit beson­de­ren Bedürfnissen die­ses Gefühl, nach­dem sie von ver­meint­lich “schlaue­ren” Erziehern gemaß­re­gelt wur­den?

“Ich fol­ge ihnen stumm, bloß­ge­stellt und gede­mü­tigt.” (bei 68% des E‑Books)

Und wie oft haben und tun sie die­sen Eltern damit unrecht? Kerstin Held zeigt anhand sehr vie­ler (demü­ti­gen­der) Beispiele, dass es eben doch die Eltern sind, die ihre Kinder am bes­ten ken­nen und ein­zu­schät­zen wis­sen. Auch für Familien, in denen Kinder mit unsicht­ba­ren Behinderungen leben, bricht die Autorin eine Lanze, denn von Folgendem kön­nen die­se Eltern ein Lied sin­gen:

“Die Behinderung ist jedoch unsicht­bar. Ich recht­fer­ti­ge mich jeden Tag für das Verhalten mei­nes Kindes mit FAS. Es hagelt immer wie­der Vorwürfe aus der Gesellschaft von schlech­ter Erziehung, geleb­te Kontrollzwänge, bis hin zur Einbildung einer Behinderung.” (bei 52% des E‑Books)

Aufklärung ist hier ange­bracht und das nicht hin­sicht­lich FAS, son­dern grund­sätz­lich.

Es ist die eine Sache, dass die Pflegefamilien kei­ne Unterstützung erhal­ten, aber eine voll­kom­men ande­re, dass sich Ämter bzw. Beamte mit Händen und Füßen dage­gen weh­ren, aus den gewohn­ten Mustern aus­zu­bre­chen, selbst wenn offen­sicht­lich ist, dass eine alter­na­ti­ve und gang­ba­re Lösung auf dem Silbertablett prä­sen­tiert wird, die dem Wohl des Kindes zu 100% zuträg­lich ist. Selbst wenn vor­ge­rech­net wird, dass der Staat durch die­se Alternative deut­lich weni­ger Aufwand zu betrei­ben hat, finan­zi­ell wie büro­kra­tisch.

Fazit

“Tu, was dein Herz dir sagt!” Dieses Zitat fin­den sich an vie­len Stellen des Buchs und beschreibt die Motivation der Autorin für ihre auf­op­fern­de Arbeit, die sie nicht nur für sich oder ihre Kinder betreibt, son­dern für die gesam­te Gesellschaft. Kerstin Held gibt einen sehr tie­fen und höchst emo­tio­na­len Blick in ihr Leben und wirbt so für Aufklärung und Inklusion glei­cher­ma­ßen.

Warum ich sozia­le Netzwerke nicht mag? Weil die Algorithmen, die im Hintergrund arbei­ten, der­art däm­lich sind. Da gibt es auf Youtube einen Beitrag der “Familie Held”, in dem die Folgen einer FAS (Fetales Alkoholsysndrom, also der vor­ge­burt­li­chen Schädigung des Kindes durch Alkoholkonsum der Mutter wäh­rend der Schwangerschaft) sehr deut­lich zu sehen sind. Und wel­che Werbung wird im Vorfeld ein­ge­blen­det? Die von einem Whiskey-Hersteller. Wie zynisch muss man sein?

Deshalb hier der Appell aus dem Buch an alle wer­den­den Mütter:

“Dabei gilt die soge­nann­te Null-Option: gar kein Alkohol. Schon die gerings­te Menge ist schäd­lich für das Ungeborene.” bei 65% des E‑Books

“Es ist fast unmög­lich, ein soge­nann­tes gesun­des Kind zu adop­tie­ren, wenn bereits ein Kind mit Behinderung in der Familie lebt.” (bei 59% des E‑Books)

»Frau Held, das haben Sie sich doch so aus­ge­sucht, dann tra­gen Sie auch die Folgen.« (bei 71% des E‑Books)

“Weil es Kindern in Familien oft bes­ser geht als in Heimen oder als Dauergast in wech­seln­den Kliniken, haben die­se Familien die Unterstützung von Staat und Gesellschaft ver­dient.” (bei 82% des E‑Books)

Wer mehr zum Thema Pflegefamilie oder behin­der­te Pflegekinder in Erfahrung brin­gen möch­te, wen­de sich an:

Bundesverband behin­der­ter Pflegekinder e.V.
Kirchstraße 29, 26871 Papenburg
Telefon: 04961 665241
www.bbpflegekinder.de

Noch mehr Infos rund um Kerstin Held und ihr Engagement fin­den sich auf ihrer Webseite.

Im Nachgang habe ich auf Goodreads eine Rezension gele­sen (aller­dings auch nur dort), in der ange­merkt wird, dass vie­le Formulierungen nicht mehr zeit­ge­mäß sind. Sind Sätze wie “Die spi­na­le Muskelatrophie Typ 1 zwingt Kinder ihr Leben lang in den Rollstuhl.” ein Beispiel dafür? Ich fin­de es schwie­rig, denn mit die­sem Satz soll ja bewusst ver­stärkt wer­den, wel­che Folgen SMA1 hat. Wäre eine sol­che Formulierung bes­ser (bei glei­cher Bedeutung)? Kinder mit spi­na­ler Muskelatrophie Typ 1 lässt sie ihr Leben lang auf den Rollstuhl ange­wie­sen sein.

Wer sich sol­che Fragen stellt, dem emp­feh­le ich die Seite Leidmedien.de, auf der erläu­tert wird, in wel­cher Weise behin­der­te Menschen in den Medien dar­ge­stellt wer­den – im posi­ti­ven wie nega­ti­vem Sinne.

cover mama held

Titel: Mama Held: Jedes Kind hat ein Recht auf Familie
Autor: Held, Kerstin
Genre: Autobiografie
Seitenzahl: 240
Verlag: Kösel Verlag

5/5

Herkunft: Deutschland
Jahr: 2020

Dieses Buch wur­de mir freund­li­cher­wei­se vom Verlag zur Verfügung gestellt. Weitere Hinweise zu Rezensionsexemplaren fin­det sich auf der Verlagsübersichtsseite.

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Sowohl in der GEO als auch bei 3Sat als auch im ZDF wur­de bis­her über Mama Held berich­tet. Hier die Links zum:

Folgend die 37-Grad-Reportage, die als Video ein­ge­bun­den ist. Das Video sieht nur in der Vorschau ver­zerrt aus. Das Seitenverhältnis passt sich beim Abspielen des Videos an. Das Video ist noch bis zum 02.03.2026 ver­füg­bar.

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