Eine Depression äußert sich bei jedem Menschen anders. Und es haben viel mehr Menschen Depressionen oder depressive Gedanken, als man gemeinhin vermutet. Spätestens nach dem Buch von Kurt Krömer „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression“ hört man Stimmen, dass es viele Trittbrettfahrer gibt, die schnell ebenfalls auf diesem Thema rumreiten, um ein wenig Geld zu machen. Allerdings beschränken sich diese Stimmen auf die sozialen Medien und spiegeln nicht das Bild in der Gesellschaft wider.
Dort ist das Thema mitnichten omnipräsent und es herrscht noch immer die Meinung, dass Depressionen lediglich ein kleiner Schnupfen im Kopf ist. Deshalb finde ich es wichtig, dass immer wieder Menschen davon erzählen, wie es ihnen mit dieser Erkrankung ergangen ist. Ich darf das einfach so behaupten, die Autorin belegt ihre Aussagen mit Quellen oder aber ihre Interviewpartner werfen solche Aspekte in den Raum.
„[…] damals haben sich noch viele geschämt – und ganz ehrlich: Es ist ja auch bis heute noch so.“ 71%
„Fast ein Fünftel nimmt aus Angst vor Stigmatisierung keine professionelle Hilfe in Anspruch: »Wegen der Sorge darüber, was andere Leute denken würden.«“ 38%
Die Autorin beschreibt nicht nur von ihren eigenen Depressionen, sondern hat sich mit sehr vielen bekannten Menschen des öffentlichen Lebens über ihre Erkrankung unterhalten, um zahlreiche Aspekte darzulegen. Wie haben sich bei ihnen die Depressionen gezeigt, was haben sie gemacht, wie sind sie damit umgegangen?
Auch wenn der Autorin immer wieder vorgeworfen wird, die Depressions-Kuh zu melken, findet sie immer wieder Zustimmung von ihren Interviewpartnern:
„Wenn du ein Buch darüber [die Depressionen, Anm. d. Autors] machst, kann man dir Geldmacherei vorwerfen. Das wird aber komischerweise nie den Leuten vorgeworfen, die den hundertsten Twilight-Aufguss machen […] da wird nie gesagt, da wird Geld gemolken.“ 48%
Durch die zahlreichen Meinungen, Ansichten und Beschreibungen verdeutlicht sie, wie unterschiedlich sich Depressionen äußern oder aber auch, wie sie sich gut verstecken können. Deshalb richtet sich das Buch nicht nur an Betroffene, sondern auch an deren Angehörige, denn man sieht es dem Gegenüber nicht an, in welchem Loch er sich derzeit befindet.
Dazu eine kleine Zitatensammlung, in denen die unterschiedlichen Stimmen zu diesem Aspekt deutlich werden.
„[…] sich einerseits zu krank fürs alltägliche Leben fühlen, aber zu gesund, um sich in eine Therapie zu begeben.“ (bei 12% des eBooks)
„Kapitalismus und meine Depression passen einfach gut zusammen – ich habe mich oft scheiße gefühlt und gedacht, ich arbeite nicht ordentlich genug, irgendwann erwischen sie mich […].“ (bei 13% des eBooks)
„Je besser dein Leben von außen aussieht, desto schwieriger wird es, eine Depression zu vermitteln.“ (bei 16% des eBooks)
„[…] ich war verblüfft, wie vielen, ja förmlich allen Leuten ich die psychische Erkrankung nicht ansehen konnte.“ (bei 18% des eBooks)
„»Na ja, ich liege ja nicht den ganzen Tag im abgedunkelten Zimmer, ich gehe zur Arbeit, was soll schon sein.«“ (bei 43% des eBooks)
„Ich habe eine high functioning depression, d.h., ich kann immer irgendwie mein Tagwerk verrichten. Ich verrichte es aber sehr leer […].“ (bei 57% des eBooks)
„So war er vermeintlich da und funktionsfähig. Wenn man nicht visuell sieht, dass jemand krank ist, dann ist das schwer zu begreifen.“ (bei 67% des eBooks)
„Weniger empathische Menschen oder auch Menschen, die nichts wissen über die Erkrankung, stellen dir womöglich die Frage: »Hömma, willst du hier noch länger faul herumliegen? Die Wäsche muss noch aufgehängt werden!«“ (bei 47% des eBooks)
Zum Ende hin befasst sich die Autorin mit dem Thema, was gegen Depressionen hilft und wie der Stand der Forschung ist, was die Auslöser der Erkrankung betrifft. Dieses Kapitel mag für den ein oder anderen zu theoretisch sein. Das ändert sich, wenn das Thema Anzahl der Therapieplätze betrachtet wird, wo sich die Kassenverbände so positionieren, dass es ausreichend Plätze gibt, während viele andere Stimmen laut werden, dass dem nicht so ist.
Es ist nämlich ein besonderes Anliegen der Autorin aufzuzeigen, dass die betroffenen Menschen sich zwar in einer hoffnungslosen Situation befinden, diese sich aber durch eine Therapie ändern kann. Sie und zahlreiche Interviewpartner drängen förmlich die Betroffenen dazu, sich in Therapie zu begeben und dass niemand glauben darf, dass man anderen vermeintlich schwerer betroffenen einen Therapieplatz wegnehmen würde.
Fazit
Dieses Buch richtet sich nicht nur an von Depressionen betroffene Menschen, denen gezeigt wird, dass sie mit ihrem Leiden und ihrer Erkrankung nicht allein sind (geteiltes Leid ist halbes Leid), sondern es richtet sich auch an Angehörige (oder jene, die gar nicht wissen, dass sie Angehörige sind), denen gezeigt wird, wie unterschiedlich sich Depressionen äußern können. Ich finde, dass in der Gesellschaft gar nicht genug über das Thema gesprochen werden kann, bis es auch in allen Köpfen angekommen ist, dass dies keine harmlose Erkrankung ist, die auf die leichte Schulter genommen werden kann.
Wenn man mit der Floskel „Wie geht’s?“ begrüßt wird, dann erwartet niemand die Leidensgeschichte des Gegenübers. Auf der anderen Seite fällt es schwer, einfach mit „Gut“ zu antworten, weil es den Betroffenen alles andere als „gut“geht.
Rowlin hat in Harry Potter ihre Erkrankung verarbeitet, in dem sie die Dementoren erschaffen hat, die den Menschen das Leben aussaugen. Das führt mich zum Thema Tod bzw. Suizid, das ich extra etwas ausgeklammert habe. Hier aber einige interessante Aspekte.
Der Suizid gehört zu den häufigsten Todesursachen. Betroffene Menschen haben in ihren dunklen Phasen nicht selten dunkle Gedanke und so mancher beschreibt, wie er kurz davor war, sich selbst das Leben zu nehmen. Hier eine kleine Zitatensammlung, die zeigt, wie schleichend und plötzlich der Suizid kommen kann.
„Ich denke, dieser Wunsch zu sterben ist aber auch nicht wirklich der Wunsch, tot zu sein. Sondern es ist der Wunsch, dass es aufhört.“ 17%
„Also passive Todeswünsche, nach dem Motto: »Och, wenn ich morgen nicht mehr aufwachen würde, wäre das echt auch nicht so schlimm …«“ 23%
„Die Deutsche Depressionshilfe informiert: Wer fest zum Suizid entschlossen ist, wirkt oft ruhiger, gefestigter und weniger verzweifelt. Die Mitwelt kann zu dem trügerischen Schluss kommen, es gehe endlich wieder aufwärts.“ 63%
„»Warum hast du das [einen Suizidversuch, Anm. d. Autors] denn bloß gemacht, du hast doch auch Familie und Kinder?« Und diejenigen haben mir erklärt, dass sie sich als bloße Belastung empfunden hätten. Dass sie dachten, ohne sie wäre die Familie besser dran.“ 65%
Anmerkung: In manchen Kreisen wird darüber diskutiert, ob man anstelle des Worts Suizid nicht besser Selbstmord verwenden sollte (In dem Buch wird dies in Kapitel 14 des dritten Abschnitts diskutiert.) Die einen sagen, dass mit Suizid eine respektvollere Formulierung gewählt wird, die anderen sagen, dass der Begriff den Sachverhalt „beschönige“ und Selbstmord in all seiner Härte genau das vermittelt, was sich hinter dem Begriff verbirgt.
Anmerkung: In einem Kapitel berichtet die Autorin davon, wie ein Nachbarsjunge vor den Augen seines Vaters von einem LKW überrollt wurde, der recht abbog. Ein entsetzlicher Unfall, der bundesweit Schlagzeilen machte. Da ich selbst Kinder habe, hier der Hinweis, dass man unbedingt Kindern klarmachen muss, dass recht haben vor allem im Straßenverkehr dramatisch enden kann. Der Fußgänger zieht immer den kürzeren und man muss aufpassen, wenn ein LKW rechts abbiegt und den zur Not vorbeifahren lassen. Die Schulen üben sich in diesem Punkt zwar in Aufklärungsarbeit und viele LKW sind mittlerweile mit Rechtsabbieg-Assistenten ausgerüstet aber noch immer sterben zu viele Menschen unter den Rädern von LKW.
Titel: Das andere Gesicht: Depressionen im Rampenlicht
Autor: Salié, Katty
Genre: Biografie
Seitenzahl: 352
Verlag: KiWi
Herkunft: Deutschland
Jahr: 2023
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