[Biografie] Kann man da noch was machen?

Von man­chen Menschen exis­tie­ren Biografien, weil sie etwas außer­ge­wöhn­li­ches geleis­tet haben. So wie zum Beispiel Steve Jobs, der ein Mobiltelefon kre­iert hat, von dem die wenigs­ten dach­ten, dass sie es bräuch­ten. Bei Laura Gehlhaar war es anders. Bei ihr waren es die Menschen in ihrer Umgebung bzw. unse­rer Gesellschaft, die sie ver­an­lasst haben, die­ses Buch zu schrei­ben.

Die Menschen, die in irgend­ei­ner Art und Weise auf Laura Gehlhaar reagie­ren, wie es bei ande­ren Menschen nicht tun. Dabei fal­len die Reaktionen durch­aus sehr unter­schied­lich aus. Manche las­sen mich als Leser nur den Kopf schüt­teln und fra­gen: “Ist das wirk­lich pas­siert”? Andere sind recht wit­zig, so dass ich als Leser hin und wie­der schmun­zeln muss­te. Die Anekdoten aus Gehlhaars Leben ver­packt sie durch­aus in so manch wit­zi­gem Kapitel, wobei das Buch nicht durch­ge­hend komisch ist. Es ist eben kei­ne Komödie.

Der Schreibstil ist recht flüs­sig und die Biografie lässt sich gut lesen. Allerdings wir­ken man­che Kapitel sehr kon­stru­iert. So, als hät­te Gehlhaar ver­sucht, das Erlebte in ein net­tes Gespräch packen. So ist z.B. das “Blicke-Kapitel” recht inter­es­sant, aber das Gespräch mit Lauras Freund Jan klingt an man­chen Stellen etwas höl­zern.

Apropos Biografie. Der Begriff mag in die Irre füh­ren, denn der Leser erfährt zwar viel aus dem Leben von Laura Gehlhaar, aber den­noch ist es kei­ne klas­si­sche Biografie, in der alle Episoden ihres Lebens auf­ge­schlüs­selt wer­den. Es ist mehr eine Ansammlung von skur­ri­len, inter­es­san­ten, lus­ti­gen, scho­ckie­ren­den Geschichten.

Meine bis­he­ri­gen per­sön­li­chen Erfahrungen mit Rollstuhlfahrern beschrän­ken sich auf einen Moment, in dem ich einem Rollstuhlfahrer eine Drehtüre ange­hal­ten hat­te, damit die­ser bes­ser hin­durch fah­ren könn­te. Er klär­te mich auf, dass es für ihn deut­lich ein­fa­cher wäre, wenn sich die Türe gleich­mä­ßig dre­hen wür­de. Gesagt, getan und der Moment war per­du.

Natürlich begeg­nen mir in den Medien hin und wie­der Menschen mit Einschränkungen jeg­li­cher Art. Zum Beispiel, weil ich sehr ger­ne die Sendung 37 Grad im ZDF anschaue, deren Themen sich durch das gesam­te gesell­schaft­li­che Spektrum zieht. So zum Beispiel vor gar nicht so lan­ger Zeit, als eine Folge Elisa Chirino in den Mittelpunkt einer Sendung stell­te, die nach “Nur einer fal­schen Bewegung” quer­schnitts­ge­lähmt ist.

Auch Laura Gehlhaar ist mir schon über den digi­ta­len Weg gelau­fen, bevor ich die­ses Buch in den Händen hielt. Wenn man selbst bloggt, lau­fen einem irgend­wann ande­re akti­ve Blogger über den Weg. Bisher war mir Laura Gehlhaar mit ihrem “Rollstuhlfahrer Bullshit Bingo” über den Weg gelau­fen, das in die­sem Buch natür­lich nicht feh­len darf.

Dieses Buch zeigt aber noch mehr. Nämlich die tat­säch­li­che “Nicht-Inklusion” in die­ser Gesellschaft. Natürlich erzählt Laura Gehlhaar von Erfahrungen, die ich mir als Nicht-Rollstuhlfahrer auch vor­stel­len kann. Nicht ans obers­te Supermarktregal gelan­gen, in einer zu engen Parklücke kei­nen Rollstuhl neben das Auto stel­len kön­nen, kei­ne Treppen stei­gen kön­nen. Das Buch ver­mit­telt aller­dings recht gut, dass es nicht die­se Dinge sind, die sie abseits der Gesellschaft ste­hen las­sen. Es sind die Menschen, die ableh­nend oder bevor­mun­dend ihr gegen­über tre­ten. 

Selbstverständlich wird das Buch an vie­len Stellen poli­tisch. Stellen, an denen jeg­li­cher Witz fehlt und ganz offen­sicht­lich wird, dass Deutschland kein inklu­si­ves Land ist. Das mer­ke ich per­sön­lich allei­ne dar­an, dass weder mir noch mei­nen Kindern behin­der­te oder irgend­wie ein­ge­schränk­te Menschen über den Weg lau­fen. Selbst Laura Gehlhaar fragt sich, wo alle die behin­der­ten Menschen sind, denn auch in ihrem Leben sind Begegnungen mit Behinderten weni­ger häu­fig als man den­ken mag.

Für man­chen Leser mag der Zeigefinger zu oft erho­ben wer­den, vor allem im Mittelteil des Buchs. Das Lesevergnügen erreicht aber sei­nen Höhepunkt, als sie am Ende davon erzählt, wie sie das Buch geschrie­ben hat. Oder bes­ser, wie sie es begon­nen hat.

Fazit

Dieses Buch rich­tet sich an alle inter­es­sier­ten Menschen, die ger­ne in Bereiche der Gesellschaft bli­cken möch­ten, die ihnen nicht so ohne wei­te­res zugäng­lich sind. Es ist durch­aus kein Buch von einer Behinderten für Behinderte. Auch Nicht-Behinderte fin­den hier einen reiz­vol­len und emp­feh­lens­wer­ten Lesestoff, der nicht nur unter­hält, son­dern auch auf­klärt. Ich für mei­nen Teil habe zumin­dest sehr viel dazu­ge­lernt, wie mit Behinderten in die­ser Gesellschaft umge­gan­gen wird und wie ich es anders machen kann.

Bewertung: ✦✦✦✦✦

 

Nebenbemerkungen …

… zu dem Buch, die mir beim Lesen in den Sinn gekom­men sind, mit dem Buch aber nur am Rande etwas gemein haben, wes­halb sich die­se auch aus­schließ­lich auf mei­nem Blog wie­der­fin­den. In den Rezensionen der Online-Shops sind die­se Passagen nicht ent­hal­ten. Auch obi­ge blau mar­kier­te Abschnitte sind nicht in den Rezensionen ent­hal­ten. Die dor­ti­gen Rezensionsleser mögen kei­ne aus­führ­li­chen Berichte zu Büchern.

Düsseldorf

Eine Lebenssituation kann ich als Nicht-Behinderter voll­kom­men und zu 100% nach­voll­zie­hen, als sie schreibt: “Der Gedanke, für immer in Düsseldorf blei­ben zu müs­sen, schnür­te mir die Kehle zu.” Laura Gehlhaar weiß gar nicht, aus wie vie­len Kölner Seelen sie hier spricht.

Kinder

Als Vater von drei Kindern weiß ich, dass aus­ge­streck­te Kinderarme auf diver­se Menschen zie­len kön­nen, die irgend­wie anders sind. Dazu zäh­len nicht nur Menschen mit sicht­ba­ren Behinderungen, son­dern zum Beispiel auch Fettleibige. An die­ser Stelle sei allen Menschen ver­si­chert, auf die die­se Arme zie­len, dass es für die Eltern gar nicht so ein­fach ist, adäquat zu reagie­ren, wenn es heißt “Der ist aber fett.” (zu einem Fettleibigen) oder “Der schaut aber voll doof aus.” (zu einem geis­tig behin­der­ten Menschen). Das sind die Momente, in denen die Eltern ger­ne im Erdboden ver­sin­ken möch­ten.
Einfacher sind da die Reaktionen auf ein “Den will ich auch haben, der ist cool.”, wenn das Kind eben­falls ein coo­len Rollstuhl haben möch­te. Natürlich die elek­tri­schen.

Selbstverständlich glot­zen Kinder. Die oben beschrie­be­nen Szenen sind dann doch eher die Ausnahme. Üblicher ist es, dass Kinder anders­ar­ti­ge Menschen erst­mal anglot­zen, wobei es den Anschein hat, dass sie irgend­wie ver­su­chen, die­se Menschen in ihr bis dahin bekann­tes Weltbild ein­zu­sor­tie­ren. Was, neben­bei gesagt, meist nicht gelingt. Das beschränkt sich natür­lich nicht nur auf Rollstuhlfahrer. Jeder Mensch, der auf den ers­ten Blick nicht alle gesell­schaft­li­chen Normen erfüllt, fällt in die­ses Raster.

Dass Kinder beim Entdecken der Andersartigkeit nicht sel­ten auf Ablehnung sto­ßen, scheint mir ein Teufelskreis zu sein. Denn wie sol­len die Kinder weni­ger auf­fäl­lig auf Behinderte reagie­ren, wenn sie den Umgang mit ihnen nicht ken­nen? In einem “Land vol­ler Singles” läuft uns (voll­kom­men unab­hän­gig von der Inklusionsthematik) rela­tiv oft eine kin­der­feind­li­che Stimmung über den Weg, wo dann wir unse­rer­seits ver­ständ­nis­los den Kopf schüt­teln.

Ich bin voll­kom­men einer Meinung mit Laura Gehlhaar, dass Menschen mit Einschränkungen bes­ser in die Gesellschaft inte­griert gehö­ren. Damit ist aber nicht gemeint, dass man Klassen noch grö­ßer macht oder die Klassenlehrer allei­ne lässt, wenn beson­de­re Kinder in die Klassen gesteckt wer­den. Aber das ist ein ande­res Thema, über das sicher­lich sehr aus­führ­lich geschrie­ben wer­den könn­te.

Diese Buch wur­de mir freund­li­cher­wei­se vom Heyne-Verlag als Rezensionsexemplar über­las­sen.

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