[Märchen] Märchenland für alle

Das Buch “Märchenland für alle” muss aus zwei unter­schied­li­chen Perspektiven vor­ge­stellt wer­den. Zum einen vor dem poli­ti­schen Hintergrund und zum ande­ren bezüg­lich der Qualität der Texte. Kommen wir zuerst zum poli­ti­schen Hintergrund. Der ein oder ande­re wird viel­leicht mit­be­kom­men haben, dass es in Ungarn ein Buch gab, in dem Homosexualität the­ma­ti­siert wur­den, wor­auf­hin das Buch nicht nur ver­bo­ten, son­dern auch öffent­lich geschred­dert wur­de. Es han­delt sich dabei um die­ses Buch “Märchenland für alle”.

Hintergründe und meine persönliche Meinung

In die­sem Buch wird aber nicht nur Homosexualität the­ma­ti­siert, son­dern gene­rell Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. Der Herausgeber und die Autoren und Autorinnen der Märchen woll­ten für mehr Akzeptanz für benach­tei­lig­te Minderheiten wer­ben, in dem sie bekann­te Märchen umschrie­ben und dort nicht nur homo­se­xu­el­le Figuren plat­zier­ten, son­dern auch Kinder mit Behinderung, Opfer häus­li­cher Gewalt oder in Armut leben­de Kinder. Der Leser merkt schon, dass nicht nur LGBTQ+ the­ma­ti­siert wur­de, son­dern eine gene­rel­le Andersartigkeit.

Die Stern-Redaktion woll­te gegen­über den Reaktionen aus Ungarn ein Zeichen set­zen, in dem sie die­ses Buch bewar­ben und noch mehr in die Öffentlichkeit rück­ten. Das dürf­te wohl gelun­gen sein, denn das Buch wird sicher­lich von vie­len ein­fach nur des­halb gekauft, um ein Zeichen gegen die Unterdrückung von Minderheiten in Ungarn zu set­zen. Bedauerlicherweise kam die Botschaft bei den Menschen in Ungarn nicht an, denn bekannt­lich wur­de der rechts­extre­me Ministerpräsident Viktor Orbán mitt­ler­wei­le wie­der­ge­wählt. Ich per­sön­lich kann bei einer sol­chen Wahl nur eben­so viel Unverständnis mit­brin­gen wie bei einer Wahl eines Donald Trump.

Ungeachtet des­sen wün­sche ich mir, dass es in der EU end­lich Mittel und Wege gibt, den Ländern den Geldhahn zuzu­dre­hen, die die Rechte der Menschen mit Füßen tre­ten. Ich stim­me bei wei­tem nicht mit allen Statements über­ein, die rund um die­ses Buch ent­stan­den. So fin­de ich nicht, dass es “gut ist, nicht der Norm zu ent­spre­chen”, so wie es die Chefredakteurin des Stern Anna-Beeke Gretemeier im Vorwort zur deut­schen Ausgabe for­mu­liert hat. Es hat durch­aus vie­le Vorteile, sich in einer Gesellschaft anzu­pas­sen und nicht über­all anzu­ecken. Es ist auch nicht gene­rell gut, “anders und viel­fäl­tig zu sein”, son­dern es ist gut, wenn Menschen, die anders sind, in der Gesellschaft akzep­tiert wer­den.

Der Herausgeber Boldizsár Nagy muss­te wegen anhal­ten­der Drohungen mitt­ler­wei­le das Land ver­las­sen. Und ich fürch­te, dass sich sei­ne Situation nach den Wahlen in Ungarn nicht bes­sern wird und die­ses Buch wei­ter­hin ver­bo­ten bleibt.

Nun, soweit die klei­ne Einführung zum Background des Buch sowie mei­ne per­sön­li­che Meinung dazu. In die­sem Zusammenhang trifft die­ser Beitrag die Montagsfrage Nr. 15 vom 14. März die­sen Jahres, in dem die Beteiligten dar­über dis­ku­tier­ten, ob sich Buchblogger gegen­über der aktu­el­len Politik stel­len soll­ten. Das Wort “soll­ten” moch­te ich schon damals nicht und ich habe damals gesagt, dass ich dies nur im Zusammenhang von gele­se­nen Büchern mache. Dieses Märchenbuch ist ein sol­ches Buch, wobei die­ses poli­ti­sche Statement von mir schon eine gro­ße Ausnahme ist.

Das Buch ist im Großen und Ganzen recht pas­sa­bel über­setzt wor­den, aber die Vita des Herausgebers ist schon sehr übel, denn dort steht: „Er ist Rom, schwul und Vater von zwei Hunden und vier Katzen.“ Ähm, sor­ry, solch ein Text darf doch nicht so durch­rut­schen.

Zum Inhalt des Buchs

Dieses Buch ist eine Zusammenstellung von 17 nach­er­zähl­ten Märchen, wobei ein jedes von einem ande­ren unga­ri­schen Autor bzw. Autorin ver­fasst wur­de. Das Besondere bei die­sen Märchen ist die Thematisierung von gesell­schaft­li­chen Minderheiten, die in den Fokus der bekann­ten Szenarien gerückt wer­den. Dabei geht es nicht nur um Homosexualität, son­dern gene­rell um Andersartigkeit, auch wenn man­che Medien ers­te­res gern in den Vordergrund rücken. Die Autoren und Autorinnen haben die­se Zusammenstellung ganz bewusst erstellt, um sich gegen die Unterdrückung von Minderheiten in Ungarn zu stel­len.

Inhaltlich fin­de ich das Buch teils etwas grenz­wer­tig. Ich habe zwar schon gele­sen, dass man­che Eltern mit der Gewaltdarstellung in den Geschichten nicht zurecht­kom­men, ich selbst habe jetzt kei­ne Passage ent­deckt, die mit über­trie­be­ner Gewaltdarstellung die jun­gen Leser ver­schre­cken könn­te. Ich fin­de es eher pro­ble­ma­tisch, dass das Anderssein manch­mal heroi­siert wird. Ich möch­te eigent­lich kein Kind dazu ermun­tern, von zu Hause weg­zu­lau­fen, weil daheim alles schei­ße ist.

Sprachlich sind Märchen per se nicht immer das Gelbe vom Ei. Oftmals wird in kur­zen ein­fa­chen Sätzen die Handlung erzählt, wobei vie­le Beschreibungen weg­ge­las­sen wer­den. Diese Einfachheit fin­det sich auch in die­sen Märchen wie­der, wobei ich es z.B. nicht anspre­chend fand, wenn Autoren zuerst erklä­ren, wor­um es im Folgetext gehen wird.

Untermalt wer­den die Texte von eini­gen Zeichnungen von Lilla Bölecz (die lei­der in der Vorstellung der Beteiligten am Ende des Buchs ver­ges­sen wur­de), die die Erzählungen kind­ge­recht auf­wer­ten. Sie pass­ten durch­weg gut zu den Texten und mei­ner Meinung nach hät­ten es ruhig etwas mehr sein kön­nen, um vor allem lan­ge Textpassagen auf­zu­lo­ckern.

maerchen alle innen
© pri­vat mit der freund­li­chen Genehmigung von Dorling Kindersley Deutschland

Fazit

Ich bewer­te den Inhalt des Buchs und nicht den poli­ti­schen Hintergrund. Von die­sem Gesichtspunkt aus kann das Buch nur mäßig über­zeu­gen. So man­ches Märchen ist zu sim­pel und manch­mal sogar etwas ver­krampft erzählt. Die Andersartigkeit der Menschen wird nicht immer in einen posi­ti­ven Zusammenhang gesetzt, so dass die “Moral der Geschicht‘” manch­mal etwas frag­wür­dig war.

Das Buch wird damit bewor­ben, dass die Stiftung Stern pro ver­kauf­tem Buch einen Euro für Diversitätsprojekte in Ungarn spen­det. Mehr Infos zu die­sem Buch und den damit ver­bun­de­nen Projekten fin­den sich im Netz.

Das ein­zi­ge Gedicht aus dem Buch fin­det sich eben­falls auf der Webseite. Dieses ver­mit­telt ganz grob, wie das Buch geschrie­ben und illus­triert ist.

Laut Impressum ist der Stern Herausgeber des Buchs. Für die deutsch­spra­chi­ge Ausgabe liegt das Copyright bei der Gruner + Jahr Deutschland GmbH, zu der auch der Stern gehört. Gedruckt wird das Buch aller­dings bei Dorling Kindersley Deutschland, wo es auch vor­ge­stellt wird. Auf dem Webauftritt fin­den sich dann auch wei­te­re Leseproben bzw. Blicke in das Buch.

maerchen alle cover

Titel: Märchenland für alle: Inklusiv und divers erzähl­te Märchen für Kinder ab 6 Jahren ver­öf­fent­licht vom Stern
Herausgeber: Nagy, Boldizsár M.
Illustrator: Bölecz, Lilla
Genre: Märchensammlung
Lesealter: ab ca. 7 Jahre
Seitenzahl: 180
Verlag: Dorling Kindersley Verlag

3/5

Originaltitel: Meseoorzág min­de­nié
Übersetzer: Christina Kunze, Tünde Malomvölgyi, Timea Tankó
Herkunft: Ungarn
Jahr: 2020 / 2022 (orig./dt.)

Dieses Buch wur­de mir freund­li­cher­wei­se vom Verlag zur Verfügung gestellt. Weitere Hinweise zu Rezensionsexemplaren fin­den sich im Bereich “Über die­sen Blog”.
 
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