“Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast.” Wer in irgendeiner Art und Weise mit der Wissenschaft im Allgemeinen und Besonderen in Berührung gekommen ist, wird diesen Spruch kennen. Das, was von Forschenden eher scherzhaft gemeint ist, aber dennoch einen Fünkchen Wahrheit beinhält, führt in der heutigen Zeit eher dazu, dass Diskussionen sehr willkürlich geführt werden. Um dem entgegenzuwirken, hilft nur eines: Aufklärung.
Dies versucht Nguyen-Kim mit ihrem neusten Buch “Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit”. Anhand acht exemplarischer Diskussionen, die in unserer Gesellschaft immer wieder aufpoppen, zeigt Nguyen-Kim, wie wissenschaftlich fundiert solche Diskussionen zum Teil geführt werden. Um dies zu zeigen, entführt sie die Leserschaft in diese sonderbare Welt der Forschenden (die sie bekannterweise als promovierte Chemikerin sehr gut kennt). Und sie taucht sehr tief in die Materie ein und befasst sich viel mit wissenschaftlichen Methodiken und zeigt, wo diese ihre Stärken und Schwächen haben und wie die Wissenschaft zu ihren mehr oder minder signifikanten Aussagen kommt.
Für diese Analysen bzw. Beschreibungen verlässt sie sehr oft das eigentliche Thema, um z.B. den Blick auf das große Ganze zu werfen. Was auf den ersten Blick danach ausschaut, als würde die Autorin den roten Faden verlieren und abschweifen, ist in Wahrheit oftmals zwingend notwendig, um den Scheuklappenblick auf ein bestimmtes Thema aufzuweiten. Am Ende kommt es nicht selten zu unklaren Statements zu den unterschiedlichen Themen aber zu eindeutigen Denkanstößen, eine Sache vielleicht mal von einer anderen Seite zu betrachten. So oder so räumt sie mit vielen Vorurteilen und Halbweisheiten auf, die sich immer wieder in den Medien und sozialen Netzen breitmachen.
Sprachlich ist das Buch durchwachsen. Auf der einen Seite sehr wissenschaftlich und gespickt mit vielen Fremdwörtern (die hin und wieder erklärt werden), auf der anderen Seite sehr salopp und umgangssprachlich, ganz so, als spricht die Autorin eine unterschiedliche Zielgruppe an. Auch wenn der umgangssprachliche Ton das Buch auflockert, muss der Leser meiner Meinung nach über eine sehr gesunde Schulbildung verfügen, um den Ausführungen Nguyen-Kims folgen zu können.
Fazit
Ich fürchte, dass dieses Buch, so gut es auch geschrieben ist und so gut Nguyen-Kim die Argumente dargelegt hat, nicht die Zielgruppe erreicht, das es erreichen möchte (oder sollte oder gar müsste?). Die aufgeklärten Leser fühlen sich durch dieses Buch in ihrem Denken bestätigt, der Skeptiker werden es meiden wie der Teufel das Weihwasser. Wer gerne offen über Themen diskutiert, sollte sich diesem Buch gern widmen, denn viele Herangehensweisen, die die Autorin zeigt, lassen sich auch auf andere Fragen übertragen.
Die Themen des Buchs:
Kapitel 1 Die Legalisierung von Drogen: Keine Macht den Pauschalisierungen
Kapitel 2 Videospiele und Gewalt: Viel »Noiseblast« um Nichts
Kapitel 3 Gender Pay Gap: Die unerklärlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Kapitel 4 Big Pharma vs. Alternative Medizin: Ein ungesunder Doppelstandard
Kapitel 5 Wie sicher sind Impfungen? Getrübte Risikofreude
Kapitel 6 Die Erblichkeit von Intelligenz: Warum die Anzahl unserer Finger weniger erblich ist als das Ergebnis eines IQ-Tests
Kapitel 7 Warum denken Frauen und Männer unterschiedlich? Achtung, dieses Kapitel verändert dein Gehirn
Kapitel 8 Sind Tierversuche ethisch vertretbar? Der Zug bleibt nicht stehen
Kapitel 9 Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Nicht weniger streiten, nur besser
Ein Hinweis zur Kindle-Version:
In dem Buch befinden sich zahlreiche Grafiken. Unten den Grafiken wurden Links zu höher aufgelösten Grafiken eingefügt. Diese liegen im pdf-Format auf den Amazon-Servern und werden im Browser dargestellt. Der Kindle-Browser kann keine pdf-Dateien anzeigen, weshalb das E‑Book auf anderen Endgeräten angezeigt werden muss, um Zugang zu den höher aufgelösten Grafiken zu erhalten. Wer diese Möglichkeit nicht hat, schaut in die Röhre.
Allerdings sind auf meinem Kindle alle Grafiken erkennbar gewesen, wenn auch nicht bis ins letzte Detail.
Titel: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel? Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft
Autor: Nguyen-Kim, Mai Thi
Genre: Sachbuch
Seitenzahl: 368
Verlag: Droemer
Herkunft: Deutschland
Jahr: 2021
Ein kleines Werbevideo aus dem Youtube-Kanal der Verlagsgruppe Droemer Knaur, eingebettet im privaten Modus, d.h. es werden erst Daten an youtube gesendet, wenn auf den Play-Button gedrückt wird.
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Weitere Hinweise zu Rezensionsexemplaren findet sich auf der Verlagsübersichtsseite.
Der Büchernarr schreibt hauptsächlich über Bücher aus den Genres Fantasy und Horror. Manchmal schleichen sich Bücher anderer Genres in diesen Buchblog ein, so dass hier auch Biografien, historische Romane oder Kinderbücher zu finden sind.